Karnevalistischer Tanzsport

Im Folgenden findet ihr umfangreiche Informationen zum karnevalistischen Tanzsport. Dies sind Auszüge aus einer wissenschaftlichen Arbeit, die an der Hochschule Magdeburg-Stendal im Fachbereich Kommunikation und Medien verfasst wurde. 

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Tradition und Leistungssport

 

Nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen Teilen der Welt erfreut sich der Karneval jedes Jahr großer Beliebtheit. Ob nun der „Carnevale Veneziano" in Italien, der „Carnaval do Rio" in Brasilien, die Deutsche Fastnacht, Fasching oder einfach nur die fünfte Jahreszeit – für Wenige werden diese Begriffe Neuland sein. Außerdem ist der Allgemeinheit der Karneval als ein Fest voller Freude, Traditionen und guter Laune, das irgendwo zwischen dem elften November und Aschermittwoch gefeiert wird, bekannt. Viele werden aber nicht wissen, dass Karneval für tausende auch Leistungssport bedeutet. Der karnevalistische Tanzsport ist heute zu einer anerkannten Sportart gereift und ist auch aus den traditionellen Karnevalsveranstaltungen nicht mehr wegzudenken.

 

Herkunft

Wie der Südwestrundfunk in seinem Fastnachtslexikon beschreibt, fand der Sport seine Anfänge bereits im 16. Jahrhundert, als unterhaltende Ballett-Aufführung an den europäischen Königshäusern. „Die Fastnachts-Ballette haben ihren Ursprung in den französischen "Ballett-Maskeraden" des 16. Jahrhunderts. Diese wurden getanzt, während ein Ansager die Handlung erzählte. Aus ihnen bildete sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts das "Ballet de cour" heraus, wie es seinen Höhepunkt am Hofe des Sonnenkönigs Ludwig XIV. in Paris erlebte. Es bestand aus einem Chor zum Lob des Königs sowie aus Szenen, die entweder getanzt, gesungen oder akrobatisch dargestellt wurden. [...] Von dort fand das Ballett Zugang zum Bürgertum und schließlich auch in den Karneval, der an und in den Residenzen zu Hause war, bevor er volkstümlich werden konnte." Hier betrachtete man den karnevalistischen Tanzsport zuerst auch als Auflockerung im durch Reden geprägten Sitzungsprogramm der Vereine. Heute gehören die Darbietungen der Tänzerinnen und Tänzer zu den Hauptattraktionen der vielen Karnevalssitzungen und Straßenumzüge.

 

Das Tanzmariechen

Ein wichtiger Begriff des Sports ist das Tanzmariechen, welches z.B. im Kölner Karneval auch als Funkenmariechen bezeichnet wird.

„Sie geht historisch auf die Marketenderinnen im 30jährigen Krieg zurück, die mit den Soldaten umherzog und ihnen Waren und manchmal auch sich selbst verkaufte. [...] Funkenmariechen waren früher keine Frauen, sondern männlichen Geschlechts."

Das Funkenmariechen ist heute so etwas wie eine Vortänzerin, die entweder allein oder mit einem Partner auf der Bühne steht oder im Straßenkarneval im Umzug tanzt. Der Begriff Funken ist vom Namen der früheren Kölner Stadtsoldaten abgeleitet, die man wegen ihrer roten Uniformen auch Funken nannte. Heute wird der Begriff Funkenmariechen oder Funkengarde (mehrere Tänzer oder Tänzerinnen in einer Formation) nahezu in ganz Deutschland verwendet.

 

Die Musik

Die Musik und die Kostüme sind im karnevalistischen Tanzsport auf den militärischen Marsch zurückzuführen. Noch heute tanzen die Aktiven im 4/4-Takt zu militärisch anmutender Musik mit modernem Einfluss. Merkmale wie Gleichschritt, absolute Synchronität und Präzision sind Grundvoraussetzungen. Traditionell dazugehörend, aber deutlich weniger Beachtung als der Marsch, findet heute die Stilrichtung Polka. Anders als der Marsch, „[...] entstammt die Polka in ihrem Ursprung der russischen und slavischen Folklore." Beide Stilrichtungen unterscheiden sich deutlich voneinander, auch deswegen findet sich die Polka nur noch selten in den Disziplinen des karnevalistischen Tanzsports wieder.

 

Kostüme

Auch die Kostüme sind militärischen und adeligen Ursprungs. Die Tänzerinnen tragen traditionell einen Dreispitz und eine weiße Perücke als Kopfbedeckung. Der Dreispitz ist ein „Ende des 17. Jahrhunderts aufgekommener, steifer Herrenhut aus Filz, dessen Krempe auf drei Seiten aufgeschlagen ist. [...] Der Dreispitz wurde ursprünglich von den oberen Ständen getragen." Durch die an drei Seiten hochgeklappten Ränder, konnte bei schlechtem Wetter der Regen kontrolliert vom Hut ablaufen und ein störendes Tropfen im Sichtfeld des Trägers wurde damit verhindert. Wegen seines praktischen Nutzens, wurde der Dreispitz später „auch Hut der unteren Schichten. Bei den Damen war der Dreispitz zeitweise Teil der Reitkleidung."

Auch die Perücke war im 17. Jahrhundert ein fester Bestandteil der adeligen Kleidung, „diese Mode erreichte ihren Höhepunkt unter Ludwig XIV., der die Allongeperücke oder Staatsperücke als Bestandteil der höfischen Kleidung einführte.

Zum traditionellen Kostüm im karnevalistischen Tanzsport gehört ebenfalls ein kurzer, wehender Rock, Stiefel und eine Uniformjacke mit Spitzenjabot. Das Spitzenjabot ist eine Art Tuch, welches etwas gerafft unterhalb des Halses auf der Jacke getragen wird.

So entsteht im Gesamtbild ein traditionelles Kostüm, welches heute durch moderne Farbgestaltung oder ausgefallene Schnitte abgewandelt werden kann. Im karnevalistischen Tanzsport gibt es mehrere Verbände, die die Regeln für die Kostüme unterschiedlich streng festlegen.

 

Der Sport ist vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) offiziell anerkannt und wird nicht nur zur traditionellen Karnevalszeit ausgetragen. Die Aktiven trainieren das ganze Jahr und zeigen ihre Darbietungen auf regionalen Turnieren, Deutschen Meisterschaften und sogar Welt- und Europameisterschaften. Natürlich sind die traditionellen Karnevalstage, wie die Eröffnung der fünften Jahreszeit am elften November eines jeden Jahres oder die Karnevalswoche von Weiberfastnacht bis Aschermittwoch Pflichttermine eines jeden Sportlers.

Die Sportler sind in den traditionellen Karnevalsvereinen oder speziellen Tanzgruppen organisiert, welche für die Teilnahme an offiziellen Wettkämpfen Mitglied in einem der vier Verbände für karnevalistischen Tanzsport sein müssen. Die einzelnen Verbände unterscheiden sich durch verschiedene Regelauslegungen und unterschiedliche Disziplinen bei den offiziellen Tanzturnieren.

 

Die verschiedenen Verbände für den Tanzsport

 

Der karnevalistische Tanzsport in Deutschland wird durch vier große Verbände geprägt. Die einzelnen Verbände unterscheiden sich in ihrer Auslegung des Sports und des traditionellen Hintergrunds zum Teil stark. Ein Teil der Verbände hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Traditions- und Kulturgut Karneval gegen die immer stärker werdende Kommerzialisierung zu schützen. Diese Haltung findet sich auch in der Auslegung des karnevalistischen Tanzsports wieder. Hier wird beispielsweise konsequent auf die traditionellen Disziplinen und Uniformen des Sports gesetzt. Andere Verbände haben eine weit offenere Haltung und erlauben auch auf Turnieren eine größere Kostüm- und Disziplinvielfalt. Jeder Verband richtet seine eigenen Turniere aus und kürt unabhängig von den anderen Verbänden seine Deutschen Meister.

Im folgenden Text werden alle Verbände des karnevalistischen Tanzsports kurz vorgestellt, außerdem soll an zwei Beispielen die unterschiedliche Haltung der Verbände deutlich gemacht werden.

 

Bund Deutscher Karneval e.V. (BDK)

Der größte und zugleich auch älteste Verband für karnevalistischen Tanzsport in Deutschland ist der Bund Deutscher Karneval e.V. (BDK). Er wurde am 24. Oktober 1953 in Mainz gegründet und beheimatet nach eigenen Angaben über 5000 Vereine und Gesellschaften, die sich in 35 Regionalverbände und Ausschüsse gliedern.
Der BDK richtet deutschlandweit Turniere aus. Auf den Turnieren wird in verschiedenen Altersklassen und in verschiedenen Disziplinen getanzt. Über die regionalen Turniere ist es möglich, sich für die jeweilige Nord- oder Süddeutsche Meisterschaft des BDK zu qualifizieren. Auf diesen beiden Meisterschaften, können sich die Teilnehmer für das jährliche Endturnier, die Deutsche Meisterschaft qualifizieren.

Auf den Turnieren wird in folgenden Altersklassen getanzt: Altersklasse I Jugend (sechs bis elf Jahre), Altersklasse II Junioren (zwölf bis fünfzehn Jahre) und Altersklasse III Ü-15 (über fünfzehn Jahre). Die Disziplinen gliedern sich in die Stilrichtungen Garde- und Schautanz. Der Gardetanz ist die klassische Form des karnevalistischen Tanzsports. Diese Stilrichtung umfasst die Disziplinen Tanzmariechen, Tanzpaare, weibliche Garden und männliche oder gemischte Garden.

In der Disziplin Tanzmariechen sind ausschließlich weibliche Tänzerinnen zugelassen. Die Tänzerinnen zeigen zur Marschmusik die typischen Schrittkombinationen mit Beinschwüngen und gehüpften Elementen. 

Pflichtelemente sind Spagat und Rad, außerdem werden Sprünge und Drehungen aus der Stilrichtung des Balletts gezeigt. Hohes akrobatisches Talent erfordern der Flickflack oder Bogengänge. Besonderer Wert wird auf einen natürlichen Ausdruck der Tänzerin und die Schwierigkeiten der einzelnen Elemente gelegt.

Bei der Disziplin Tanzpaar zeigt das Tanzmariechen die Choreografie mit einem männlichen Partner. Die Elemente der Disziplin Tanzmariechen werden hier durch Hebefiguren ergänzt. Besonders wichtig sind die Synchronität des Paares und die korrekte Ausführung der Hebefiguren über die gesamte Darbietung hinweg.

Auch bei den weiblichen Garden werden verschiedene Schrittkombinationen und Schwierigkeiten gezeigt, jedoch ist der Schwierigkeitsgrad niedriger als beim Tanzmariechen. Es treten mindestens sechs Tänzerinnen zusammen auf, in manchen Garden tanzen sogar mehr als 40 Mädchen und Frauen zusammen. Die Masse verzeiht Fehler, jedoch wird ein erhöhtes Augenmerk auf die absolute Synchronität der Gruppe gelegt und von jeder Tänzerin wird die exakt gleiche Ausführung der Schritte und Armbewegungen erwartet.

Auch hier wird zur Marschmusik getanzt, neben gehüpften Schrittfolgen gibt es auch Marschpassagen der gesamten Gruppe. Weiterhin wichtig ist eine abwechslungsreiche Aufstellung der Tänzerinnen in Reihen, Kreisen oder Kreuzen.

Bei den gemischten oder männlichen Garden wird die Choreografie der weiblichen Garden durch Hebefiguren ergänzt. In der Turnierpraxis treten in dieser Disziplin fast ausschließlich gemischte Garden an.  Diese müssen immer mindestens zu einem Drittel aus Frauen oder Männern bestehen. Hauptbewertungskriterien sind hier die Synchronität, die Hebefiguren und die unterschiedlichen Aufstellungen im Tanz.

Für die vier Disziplinen im Gardetanz gelten verbindliche Kostümregeln. „Die Gardeuniform muss dem Charakter einer karnevalistischen Garde entsprechen. Alle weiblichen Teilnehmer dieser vier Disziplinen müssen Uniformjacken mit Rock oder Kleider und die Männer in den entsprechenden Disziplinen Uniformjacke mit Hose oder einteilige Uniform tragen. Die Uniformen müssen beim Auftritt stilgerecht getragen werden. Dazu gehören auch Kopfbedeckungen und Schaftstiefel [...]. Das Tragen von Strumpfhosen wird den weiblichen Mitgliedern der Garde zur Bedingung gemacht. Entsprechende Unterkleidung ist für alle Tänzer verpflichtend. Piercings müssen entfernt oder überklebt werden." Die Regelungen für Kostüme sind im BDK also relativ streng und eng an die traditionellen Standards des Sports geknüpft.

Durch diese strengen Regeln werden große sichtbare Abwandlungen der Kostüme unterbunden. Auch das Anbringen von Werbung an der Tanzkleidung ist laut Tanzturnier-Ordnung des BDK grundsätzlich verboten. Erlaubt ist aber z.B. eine freie Farbwahl der Outfits und es gibt keine Perückenpflicht.

Bei der Musikauswahl wird sich bei Turnieren des BDK auf die Marschmusik beschränkt. Disziplinen, in denen nach der Stilrichtung Polka getanzt wird, gibt es im BDK nicht. Die Tanzturnier-Ordnung schreibt bei allen Tänzen eine maximale Länge von fünf Minuten vor. Die Bewertung der Darbietungen erfolgt durch eine unabhängige Jury. „Die Jury besteht aus dem Jury-Obmann und 9 Juroren, wovon 7 Juroren in der Regel immer werten. [...] Die Bewertung durch die Jury erfolgt nach Punkten. Die ermittelte Gesamtpunktzahl auf dem Wertungsbogen ist das Endergebnis der einzelnen Juroren. Bei der Addition der Endergebnisse aller Juroren werden die höchste und die niedrigste Wertung gestrichen. Die verbleibenden 5 Wertungen ergeben die Endpunktzahl." Durch die Streichergebnisse soll verhindert werden, dass Wertungsrichter  einzelne Sportler bevorteilen oder benachteiligen. Bei der Bewertung sind laut BDK Attribute wie Uniform, Ausstrahlung, Schrittvielfalt, Schwierigkeitsgrad, Exaktheit und Ausführung wichtig. Bei Verstößen gegen z.B. die Kostümregelungen können die Wertungsrichter in der jeweiligen Kategorie Punkte abziehen. Die höchste Gesamtpunktzahl beträgt in allen Disziplinen 500 Punkte.

Die Beurteilung der Leistung erfolgt zwar auf Grundlage der Bewertungsrichtlinien, sie bleibt jedoch immer eine subjektive Wahrnehmung des Kampfrichters. Die Leistung des Sportlers oder der Sportlerin kann nicht unmittelbar gemessen werden, sondern sie kann nur durch das menschliche Auge bewertet werden.

Neben den Gardetänzen gibt es außerdem die Disziplin Schautanz. In dieser Disziplin sind die Regeln viel freier gestaltet, als in den Gardetänzen. Mit Hilfe von Musik, Requisiten und ausgefallenden Kostümen sollen die Tänzerinnen und Tänzer hier dem Publikum eine Geschichte tanzend erzählen. Die Mindeststärke der Gruppe beträgt sechs Personen, dabei ist es egal ob nur Frauen, nur Männer, oder eine gemischte Gruppe antreten. Die Musik und das Thema darf laut BDK Richtlinie frei gewählt werden. Ausgeschlossen sind jedoch sittlich anstößige Themen, sowie Themen, die religiöse Aspekte behandeln. An Requisiten ist alles erlaubt, was die Tänzerinnen und Tänzer mit eigener Kraft auf die Bühne tragen können. Die Requisiten müssen in den Tanz einbezogen werden, dürfen jedoch nicht betanzt werden und dürfen nicht von der Bühne fallen. Als Kostüme dürfen keine Gardeuniformen getragen werden und die Kostüme sollten laut BDK nicht gegen Anstand und gute Sitten verstoßen. In der Praxis bedeutet das z.B., dass die Tänzer sich nicht mit freiem Oberkörper auf der Bühne zeigen dürfen. Ein weiter Ausschnitt bei Frauen oder bauchfreie Kostüme müssen beispielsweise mit einem hautfarbenen Stoff verdeckt werden. Grundsätzlich ist die Kostümwahl aber frei.

Die Bewertung erfolgt ähnlich wie in den Gardetanzdisziplinen. Auch hier ist eine maximale Zahl von 500 Punkten zu erreichen.

Während die Disziplinen im Gardetanz stark auf Tradition und strenge Regeln getrimmt sind, lässt der Schautanz mehr Freiraum für die Kreativität der Sportler. Im Schautanz finden auch andere Tanzstile ihren Einfluss, dadurch entsteht eine abwechslungsreiche Disziplin, die auch aufgrund der Themenvielfalt für den Zuschauer sehr attraktiv ist.

Diese Freiheit in der Auslegung des Schautanzes kann sich nicht in der Positionierung des BDK als Verbandsorgan wiederfinden. Der BDK ist zwar der größte Verband für karnevalistischen Tanzsport in Deutschland, er ist aber nur selten an der Zusammenarbeit mit anderen Verbänden interessiert. So verwehrt er seinen Mitgliedern z.B. auch die Teilnahme an Wettbewerben anderer Verbände. „Aktive und Vereine, die an Tanzturnieren von Organisationen teilnehmen, die zum BDK im Wettbewerb stehen, schließen sich von der Teilnahme an BDK-Qualifikationsturnieren wie auch vom BDK-Endturnier selbst aus." Auch diese Klausel in den Verbandsstatuten ist auf die selbst auferlegte Pflicht zur Traditionserhaltung im karnevalistischen Tanzsport zurückzuführen.  Generell ist der BDK der Verband, der sich am meisten für die Traditionserhaltung des Kulturguts Karneval einsetzt.

Er stellt sich klar gegen Auswüchse des Karnevals in andere Jahreszeiten und beklagt in seinen Leitlinien die Nutzung traditioneller karnevalesker Elemente, wie Verkleidung oder Maskeraden in einem Mix mit anderen Bräuchen, wie z.B. Junggesellenabschiede, Christopher Street Day oder Halloween. „In der Ethik-Charta des Bundes Deutscher Karneval wird festgeschrieben, dass Fastnacht, Fasching und Karneval, nach wie vor fest im christlichen Jahreslauf verankert, als Schwellenfest vor der österlichen Fastenzeit eine klare zeitliche Begrenzung haben. An Aschermittwoch ist definitiv Schluss." An dieser Aussage lässt sich deutlich machen, dass der karnevalistische Tanzsport zwar ein wichtiger und traditioneller Bestandteil des Karnevals ist, der Sport selbst ist aber eine eigenständige Leistungssportart, die auch im BDK nicht nur während der Karnevalszeit betrieben wird.

Um seiner traditionserhaltenen Rolle gerecht zu werden, unterhält der BDK eigene Ausschüsse für Brauchtum und Tradition.

Verbandsintern ist die Pflege der Traditionen also sehr wichtig, damit wird in gewisser Weise aber auch die Entwicklung der Sportart des karnevalistischen Tanzsports hin zu einer neuen und moderneren Ausrichtung der Disziplinen und Kostüme beschränkt.

 

Deutscher Verband für Garde- und Schautanzsport e.V. (DVG)

Im Gegensatz zum BDK gilt der Deutsche Verband für Garde- und Schautanzsport e.V. (DVG) als relativ junger und moderner Verband. „Der DVG wurde am 4. September 1986 zunächst als Deutscher Verband für Gardetanzsport gegründet." Erst später wurde auch der Schautanzsport in den Verband integriert.

Auch im DVG wird in drei verschiedenen Altersklassen getanzt. Laut Verband, werden die Sportler und Sportlerinnen in die Schülerklasse (bis elf Jahre), die Jugendklasse (bis fünfzehn Jahre) und in die Hauptklasse (ab sechzehn Jahre) unterteilt. Außerdem wird beim DVG in verschiedene Leistungsklassen unterteilt. Ein besonderes Ligasystem aus dritter, zweiter und erster Bundesliga ermöglicht hier sogar Auf- und Abstiegskämpfe, ähnlich der Fußball-Bundesliga. Auf verschiedenen Ranglistenturnieren können sich die Tänzer und Tänzerinnen anhand ihrer erreichten Punktzahl für den Masters Cup und die Deutsche Meisterschaft des DVG qualifizieren. Für den Masters Cup sind die besten fünf Tänze in der Rangliste der jeweiligen Disziplin startberechtigt. Der Masters Cup wird dann in zwei Abendveranstaltungen ausgetragen, die besten drei Tänze qualifizieren sich direkt für die Deutsche Meisterschaft und der beste Tanz jeder Disziplin sichert sich sogar die direkte Teilnahme an der Europameisterschaft.

Hier können sich die besten Tänzer und Tänzerinnen des DVG dann im internationalen Vergleich messen.

Die offenere Rolle des DVG gegenüber z.B. dem BDK äußert sich in einer größeren Vielfalt der Disziplinen. Auch hier wird in Disziplinen des Gardetanzes und des Schautanzes unterschieden. Insgesamt werden zehn verschiedene Disziplinen getanzt und damit eine deutlich größere Bandbreite erreicht.

Als einziger Verband bietet der DVG neben der Stilrichtung Marschtanz auch die Polka an. „Sowohl im Charakter der Musik als auch in den Tanzschritten und Elementen unterscheiden sich die beiden Disziplinen deutlich voneinander und werden daher konsequenter Weise beim DVG jeweils eigenständig und stilrein vertanzt." Weitere Disziplinen im Gardetanz sind: Solo, Paar, Marsch und Gardetanz mit Hebefiguren, sie ähneln sich den Disziplinen des BDK.

Ein Unterschied ist jedoch bei den Regelungen der Kostüme zu erkennen. Während beim BDK eine traditionelle Kopfbedeckung in den Gardetänzen Pflicht ist, gehören Hüte und Perücken in den Regelungen des DVG längst der Vergangenheit an. Auch der Gesundheit der Sportler wird vermehrt Sorge getragen, so ist z.B. der beim BDK noch geforderte Sprungspagat beim DVG verboten.

Im Schautanzbereich wird im DVG eine wesentlich größere Vielfalt als in anderen Verbänden geboten. Neben dem Schausolo und dem Schauduo, gibt es auch noch die Disziplinen Freestyle, Charakter und Modern. Während auf Turnieren des BDK nur Gruppen-Schautänze mit mindestens sechs Personen erlaubt sind, können beim DVG auch Einzelpersonen oder Paare im Schautanz antreten.

Im Solo steht der einzelne Akteur im Mittelpunkt und im Duo können Herrendoppel, Damenduos oder klassische Herren/Damen-Kombinationen antreten. Dadurch entsteht ein „[...] Wechselspiel der Beziehungen zueinander. Mal absolut synchron, mal mit- und mal gegeneinander." Dieses Wechselspiel ist bei Gruppen-Schautänzen mit vielen Akteuren nur schwer zu erreichen, hier steht viel mehr die Schönheit des Gesamtbildes einer tanzenden Gruppe im Fokus. So wird im Schautanz Charakter, wie im Schautanz des BDK, eine Geschichte vertanzt. Hinzu kommen in Turnieren des DVG die Schautanzdisziplinen Freestyle und Modern. Beim Freestyle wird, wie der Name schon sagt, auf die individuellen und kreativen Fähigkeiten der Sportler und Sportlerinnen gesetzt.

Im Regelwerk wird die Disziplin folgendermaßen beschrieben: „Hier werden Tänze ohne Handlung, Thema oder sonstiger Charakterisierung bewertet. Es stehen die Interpretation der frei gewählten Musik durch Tanztechnik, die Körpersprache der Tänzer und eine kreative, harmonische Choreografie im Vordergrund. Freestyle ist kunstvolles, experimentelles Tanzen, die Choreografie muss wie ein Führer durch die Höhen und Tiefen der Musik leiten."

In der Disziplin Modern kommt eine weitere Neuentwicklung des klassischen Schautanzens zum Einsatz. Laut DVG sind die verschiedenen Bewegungsprinzipien des Jazz-Dance Hauptausgangspunkte für die Bewertung. Es können aber auch Elemente des Balletttanzens und anderer artverwandter Tanzstile mit eingebunden werden. Dominierend sollen aber die Bewegungsrhythmen des Jazz-Dance sein. In dieser Disziplin kommt es also hauptsächlich auf die Tanztechnik und die einzelnen korrekt ausgeführten Tanzelemente an.

In allen Schautanzdisziplinen steht das perfekte Gesamtbild der Gruppe im Vordergrund. Dieses wird z.B. durch identische Kostüme oder exakt gleiche Bewegungen der Gruppenmitglieder erreicht.

Der DVG erreicht mit seiner hohen Anzahl an Disziplinen und Wettkämpfen eine große Vielfalt und bindet auch Abwandlungen des klassischen karnevalistischen Tanzes mit in die Wettkämpfe ein. Dadurch nimmt der Sport auch neue Stilrichtungen des Tanzens auf. Durch die Unterscheidung in verschiedene Schautanzdisziplinen soll die Bewertung der Leistung fairer gestaltet werden und der karnevalistische Tanzsport insgesamt moderner ausgelegt werden. Gleichzeitig sorgt die Vielzahl der Disziplinen aber auch für eine gewisse Verwirrung beim normalen Zuschauer und setzt die Eintrittsbarriere in den Sport auf ein höheres Niveau. Darauf hat der DVG reagiert und bietet in allen Disziplinen auch eine offene Startklasse.

Hier können Vereine oder Einzelpersonen den Sport kennenlernen und auf Turnieren teilnehmen, ohne sich sofort an alle Regeln und Anforderungen der Disziplin halten zu müssen. Die Wertung erfolgt extra, außerhalb der normalen Konkurrenz und dient als Standortbestimmung und Hilfeleistung bei der Weiterentwicklung des eigenen Tanzens.

 

An diesen beiden Beispielen wird die stark unterschiedliche Haltung der Verbände mit Blick auf Traditionen und Erweiterung der Disziplinen deutlich. Das Gute daran ist, jeder Verein hat die freie Wahl, welchem Verband er sich anschließt. Die regionale Herkunft entscheidet nicht automatisch welchem Verband man angehören muss. So kann jeder Verein selbst entscheiden, wie er seine Haltung zu Tradition und der Verknüpfung dieser Tradition zum Leistungssport ausleben möchte.

 

Rheinische Karnevals-Korporationen e.V. (RKK)

Als weiteren Verband für karnevalistischen Tanzsport gibt es neben dem BDK und dem  DVG seit dem 21. Juni 1959 den Verband der Rheinischen Karnevals-Korporationen e.V. (RKK) mit Sitz in Koblenz. Er ist nach eigenen Angaben  „mit über 1.111 Vereinen und deren mehr als 500.000 Aktiven" der zweitgrößte Verband für karnevalistischen Tanzsport in Deutschland. Die RKK gehörten ursprünglich auch zum BDK, lösten sich aber aufgrund verschiedener Ansichten in der Verbandsausrichtung später und werden seitdem als eigener Verband geführt.

 

Mittlerweile kann hier jeder Verein in Deutschland Mitglied werden. Auch die RKK haben es sich zur Aufgabe gemacht, das Brauchtum Karneval zu fördern und zu erhalten. Ähnlich wie beim BDK ist Tradition sehr wichtig und der Tanzsport nur ein Teil des Aufgabenbereichs. Es gibt z.B. einen eigenen Jugendausschuss. Die RKK sind in 22 Bezirken organisiert. Wie bei allen anderen Verbänden auch gibt es drei Altersklassen: Kinder/Jugend, Junioren und Senioren. Auch hier gibt es verschiedene regionale Turniere und als Endturnier die Deutsche Meisterschaft. Die Disziplinen werden in Garde- und Schautanz unterschieden. Im Gardebereich gibt es Solisten, Paare, weibliche Tanzgarden und gemischte Tanzgarden. Im Schaubereich gibt es die Schaudarbietung, wobei vielfältige Requisiten zum Einsatz kommen dürfen, außerdem Schautanz gemischt und Schautanz weiblich. Dazu kommt die Disziplin Männerballett. Die RKK wählen einmal pro Jahr die drei RKK-Funkenmariechen, die den Verband ein Jahr lang repräsentieren. Außerdem wird jährlich der RKK-Musiktag organisiert. 

 

Internationale Interessengemeinschaft für Tanzsport e.V. (IIG)

Als international arbeitender Verband existiert die Internationale Interessengemeinschaft für Tanzsport e.V. (IIG). Die IIG wurde am 11. September 1965 gegründet und bildet einen Verband für Vereine aus Deutschland, Ungern, Argentinien und anderer Europäischer Länder.

 

Die Internationale Interessengemeinschaft für Tanzsport bezeichnet sich selbst als gemeinnützig anerkannter Tanzsport-Verband für Amateure. Doch auch hier wird Leistungssport betrieben. Ziel ist es, die Jugend in Europa und der ganzen Welt zusammen zu führen und für den Tanzsport zu begeistern. Schon 1957 richtete die IIG ihr erstes Turnier aus. Die IIG ist viel internationaler als die anderen Verbände ausgerichtet. Es gibt Qualifikationsturniere und Landesmeisterschaften bis hin zur Deutschen, Europa- und Weltmeisterschaft. Mit dabei sind neben Deutschland z.B. Belgien, Slowenien und Argentinien. Sie alle tanzen mit denselben Richtlinien. Auch hier gibt es drei Altersklassen und darüber hinaus zwei Leistungsklassen: Anfänger und Fortgeschrittene, wobei man auch aufsteigen kann. Die IIG bietet eine noch größere Disziplinvielfalt: Der Gardebereich wird in Polka und Marsch unterteilt, wo jeweils Solisten, Paare und verschiedene Gruppen antreten, z.B. Marschtanzgruppen, Rheinische Garden oder Garden mit Paaren. Im Showbereich gibt es den künstlerischen Tanz, moderne Gruppenformationen, Gruppenformationen mit Hebefiguren, Akrobatiktanz (jeweils Solo, Paar, Gruppen) und Folklore. 

 

Außerdem gibt es eine unbestimmt große Zahl an Vereinen und Gesellschaften, die den Sport betreiben, ohne in einem der Verbände organisiert zu sein. Hier steht nicht der Leistungs- und Wettkampfgedanke im Vordergrund, sondern vor allem die Auftritte zur Karnevalszeit im Verein oder bei den unzähligen Straßenkarnevalsumzügen.

 
Zusammenfassend muss man sagen, dass der karnevalistische Tanzsport in der großen Sportlandschaft Deutschlands nur eine Nebenrolle einnimmt. Dies ist aber auch der Vielfalt der Verbände geschuldet. Der Sport wird in verschiedene Verbände zerstückelt und erhält dadurch keinen einheitlichen deutschlandweiten Auftritt, wie es in anderen großen Sportarten wie Fußball oder Basketball der Fall ist. Aufgrund der verschiedenen Auslegungen der Verbände mit Blick z.B. auf das Traditionsbewusstsein, ist ein Zusammenschluss der Verbände auch weniger realistisch, wobei sich dies viele Sportler wünschen würden. Durch diese Zerstückelung bekommt der Sport weniger Öffentlichkeit und wird nur selten vom breiten Publikum z.B. bei Karnevalsübertragungen im Fernsehen wahrgenommen. Hier kann der Sport aber nicht in seiner eigentlichen Vielfalt und Schwierigkeit wirken, sodass er vom Publikum eher als Beiwerk zum Karnevalsgeschehen gesehen wird. In der Realität muss man aber den karnevalistischen Tanzsport vom allgemeinen Karnevalsgeschehen trennen. Der Sport gehört ohne Zweifel zum Karneval dazu, aber er wird das ganze Jahr betrieben und um erfolgreich zu sein, erfordert er ein Höchstmaß an Disziplin und Zeit. Es ist ein Leistungssport, den man jedoch nicht hauptberuflich betreiben kann, da es aufgrund der geringen Popularität nur selten Preisgelder zu gewinnen gibt. Trotzdem darf man die Masse an Trainern, Betreuern, Fans, Tänzerinnen und Tänzern, die in diesem Sport wetteifern nicht außer Acht lassen, sondern man sollte sie durchaus als großes Potential betrachten.

Quellen: Fastnachtslexikon des SWR, BDK-Broschüre, www.koelner-karneval.info, www.dvg-tanzsport.de, www.planet-wissen.de, www.universal_lexikon.deacademic.com, www.tanzsport.de, www.karnevaldeutschland.de, www.vsk-saar.de, www.rkk-koblenz.de, www.iig-tanz.de