Die 47. Deutschen Meisterschaften im karnevalistischen Tanzsport in Halle/Saale

Diese Deutsche Meisterschaft geht in die Geschichte des karnevalistischen Tanzsports ein. Das, was am Wochenende in Halle passiert ist, wird es so schnell nicht noch einmal geben. Mit 499 Punkten ertanzte sich Tanzmariechen Liana Wolf die höchste Wertung, die es jemals bei einer Deutschen Meisterschaft des BDK gegeben hat und stößt damit die 496 von Ernst Voigt und Jennifer Tompkins aus dem Jahr 1994 vom Thron. Was Liana mit der Halle gemacht hat, kann jetzt noch niemand so richtig in Worte fassen. Beginnen wir deshalb am besten einfach von vorn:

 

Halle an der Saale, Messehallen, 9 Uhr. Rund 6.000 begeisterte Fans des karnevalistischen Tanzsports strömten aus allen Ecken Deutschlands an diesem Sonntagmorgen nach Sachsen-Anhalt. Ein aufgeregtes Dialekte-Wirrwarr vermischte sich mit dem Lärm von Tröten und Trommeln. Freunde sahen sich nach langer Zeit wieder. Tanzen verbindet. Das drückte auch die Eröffnungsfeier aus, die einen schönen Film über den Ausrichter und den Weg zur Deutschen Meisterschaft zeigte. Kurze Worte des BDK-Präsidenten Klaus-Ludwig Fess rundeten die Feier ab und damit war die legendäre 47. Meisterschaft auch schon eröffnet. 

Der Sprung ins Glück - Tanzmariechen Liana Wolf erreichte 499 Punkte.

Tanzpaare

 

Als erstes durften wie immer die Tanzpaare auf die große Bühne. Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, dass es doch noch möglich ist, in so einer Traditionssportart etwas Neues zu zeigen. Immer wenn man denkt, man hat schon alles gesehen, toppen die Tanzpaare dies mit ihrem Einfallsreichtum wieder. Neue Hebungen, neue Auf- oder Abgänge und noch spektakulärere Figuren sorgten in der Halle für das ein oder andere „ahh“ und „ohh“. Die Akustik in der Halle war so, dass die Reaktionen des Publikums besonders gut zu hören waren – ein tolles Feedback für die Tänzer auf der Bühne. Den ersten Platz sicherte sich das Tanzpaar Selina & Alexej Balzer von der Mühlburger Carnevals Gesellschaft. Im vergangenen Jahr hatte es noch den emotionalen Heiratsantrag bei der Siegerehrung gegeben. Dieses Jahr präsentierten sie sich das erste Mal als Ehepaar auf der Bühne. Schon beim Einmarsch hatten Selina und Alexej die ganze Halle hinter sich und ernteten tosenden Applaus. Ihren Tanz unter dem Motto „Casanova“ zeigten sie in Perfektion und wurden mit 482 Punkten belohnt. Diese reichten zum sechsten Meistertitel. Dass die beiden in einer anderen Liga tanzen, beweist der Abstand zu Platz zwei. Mit 469 Punkten erreichten diesen die Süddeutschen Meister Vanessa Ganser & Robin Bottler (Feuerio Große Carnevalsgesellschaft Mannheim). Als würden sie schon ewig zusammen tanzen, strahlten sie um die Wette und präsentierten einen eleganten und synchronen Tanz mit tollen Hebungen. Unglaublich, dass diese beiden ihre erste Turniersaison zusammen tanzen. Und noch dazu: Sie trennen über 400 km, da Robin in Harsewinkel wohnt und dort auch lange getanzt hat. „Wie das funktioniert, fragen wir uns auch“, sagte Vanessa Garde & Show. „Meistens trainieren wir bei mir in Böhl-Iggelheim. Ab und zu bin ich aber auch mal bei ihm. In der kurzen Zeit ist eine tolle Freundschaft entstanden.“ Dass man mit einen unbändigen Willen alles schaffen kann, zeigten sie mit ihrem Vizemeistertitel. Dritter wurden Jessica Kummer & Tobias Kuhn von der Tanzsportgemeinschaft Bellheim mit 458 Punkten. Bei der Süddeutschen noch knapp das Treppchen verpasst und im Vorjahr unglücklich Fünfte geworden, schafften sie nun endlich wieder den Sprung aufs Treppchen und konnten damit ihren Erfolg von 2016 wiederholen. Dieses Tanzpaar ist besonders für seine spektakulären Hebungen bekannt. Tobias setzte Jessica zwischendurch gar nicht mehr ab, sondern wirbelte sie zwischen den großartigen Tanzpassagen am laufenden Band durch die Luft. Dies zeigten sie aber so souverän und sicher, dass es nicht gefährlich aussah, sondern so, als wäre Jessica irgendwas zwischen Flummi und Feder. 

Selina und Alexej Balzer sicherten sich ihren sechsten Deutschen Meistertitel bei den Tanzpaaren.

Weibliche Garden

 

Kurz nach 11 Uhr ging es weiter mit den weiblichen Garden – Königsdisziplin. Zum vierten Mal in Folge und insgesamt zum neunten Mal holte sich das Tanzkorps Rote Husaren Neuenkirchen den Titel. Mit 30 Tänzerinnen zeigten sie sich nicht nur als größte Gruppe, sondern auch als harmonischste. Beim Einmarsch in Dreierreihen ging das erste Raunen durchs Publikum, dann bei dem perfekten Kreis und dann nochmal bei den Rädern in der Reihe. Eine Tänzerin sah aus wie die andere. Vermutlich können sie ihren Tanz blind, so sicher und sauber konnten sie ihn abrufen. Den Vizemeistertitel erreichte die weibliche Garde der KK Buchnesia Nürnberg. Sie zeigten einen ganz anderen Stil. Schneller, zackiger in den Bewegungen und mit effektvollen Formationswechseln überzeugten sie die Jury. Diese wertete 475 Punkte. Nur zwei Punkte weniger erreichten die Norddeutschen Meister Großenritter CG Baunatal. 2017 waren sie Vierter geworden und wollten nun mehr, verriet das Trainerteam Garde & Show: „Wir konnten unsere Leistung im Gardetanz von Turnier zu Turnier steigern. Das hat sich auch in den Punktzahlen ausgedrückt. Die Konkurrenz ist sehr stark, aber wir waren hochmotiviert und wollten um den Treppchenplatz kämpfen.“ Vor fünf Jahren hatte die Gruppe das letzte Mal auf dem Siegerpodest gestanden, weshalb die Freude natürlich umso größer war. 

Das Tanzkorps Rote Husaren Neuenkirchen - Die unangefochtenen Königinnen der Garden.

Gemischte Garden

 

Spannend wurde es nach den weiblichen Garden dann bei den gemischten Garden. Leider werden die Gruppen in dieser Disziplin von Jahr zu Jahr kleiner. Die Zeit der großen Garden wie Landau, Nürnberg oder Mannheim scheint vorerst vorbei zu sein. In diesem Jahr sollte es auf jeden Fall einen neuen Meister geben. Mit zehn Punkten Abstand auf Platz zwei holte die Mühlburger Carnevals Gesellschaft den Titel zum ersten Mal. Das harte Training der letzten zwei Jahre hat sich ausgezahlt. 2017 war die Garde noch auf Platz fünf gelandet. Jetzt überzeugte sie mit 464 Punkten und einer harmonischen Teamleistung. Die Gruppe ist sichtlich zusammengewachsen. Auch durch den verletzungsbedingten Ausfall von Trainer Markus Nily ließen sich die Tänzerinnen und Tänzer nicht aus der Ruhe bringen. Einen Krimi gab es bei dem Kampf um Platz zwei und drei. Die Filderer und die TSG Bellheim tanzten als letzte und vorletzte in der Disziplin und erreichten beide 454 Punkte. Nur mit einem Punkt in der Streichwertung konnte sich Bellheim durchsetzen. Beide Gruppen zeigten einen nahezu fehlerfreien Tanz. In der Vorbereitung auf die DM hatten es beide nicht ganz einfach. Bellheim hatte Hallenprobleme, sagte Trainerin Lisa Hoffmann Garde & Show: „Wegen des Brandschutzes wurde unsere Halle vor den Sommerferien gesperrt. Seitdem hatten wir große Probleme und oft Trainingsausfälle oder Räumlichkeiten, die zu klein waren. Trotzdem haben wir nicht aufgegeben und versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Wir sind stolz, trotz der Umstände so weit gekommen zu sein.“ Die Filderer hatten dagegen mit Verletzungspech und ständigem Umstellen zu kämpfen, sagte Trainerin Gae Dittrich: „Wir haben mit 12 Tänzerinnen und Tänzern angefangen, sind dann hoch auf 15 und dann auf 18. Mit 15 wollten wir eigentlich zur Deutschen Meisterschaft fahren. Weil sich einer meiner Jungs verletzt hat, sind wir nun aber wieder nur 12. Durch das viele Umstellen gab es kleine Unsicherheiten.“ 

Neue Meister bei den gemischten Garden: Die Mühlburger Carnevals Gesellschaft.

Tanzmariechen

 

Nach der Mittagspause erreichte das Turnier mit den Tanzmariechen seinen Höhepunkt. Eine unglaubliche Leistungsdichte machte es der Jury sehr schwer, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ganz klar war die Entscheidung allerdings beim ersten Platz. „99 – 100 – 100 – 100 – 99 – 100 – 100.“ Als der Turniersprecher diese historische Wertung für Liana Wolf (KC Röttenbach „Die Besenbinder“) verkündete, brachen alle Dämme. Die ganze Halle stand, jubelte, weinte und freute sich über diesen einzigartigen Moment. Liana selbst ging vor Fassungslosigkeit auf den Boden und konnte erst nach minutenlangem Applaus die Bühne wieder verlassen. Zuvor war es mucksmäuschenstill bei ihrem Tanz. Liana verzauberte alle mit ihrer unvergleichlichen Präsenz, ihrem Strahlen, ihrer Sprungkraft und ihrem Schweben. Sie konnte loslassen und den Tanz in vollen Zügen genießen. Es fällt schwer, das unbeschreibliche zu beschreiben. Man muss sie einfach mal gesehen haben. Nur zwei Startnummern später folgte mit der dreifachen Deutschen Meisterin Katharina Theil (DJK Oberasbach) das zweite Highlight. Weil Liana so enorm vorgelegt hatte, flatterten die Nerven bei Katharina. Sie hatte ohnehin eine schwierige Saison und konnte nach einer dreimonatigen Verletzungspause erst im neuen Jahr wieder so richtig einsteigen. „Ich hatte überlegt, ob ich es diese Saison nicht einfach sein lasse und nächstes Jahr wieder von vorne anfange. Ich hatte eine Entzündung in der Hüfte und schreibe in einem Monat auch noch Abi. Aber nachdem ich langsam wieder mit dem Training beginnen konnte, wollte ich nicht aufgeben und wollte wieder tanzen. Ich bin nun froh, dass ich dieses Jahr überhaupt starten konnte, auch wenn es vielleicht nicht so lief, wie die letzten Jahre“, sagte Katharina Garde & Show. Mit immer noch überragenden 484 Punkten schaffte es Katharina auf Platz zwei. Dritte mit 483 Punkten wurde Lorena Ruthardt (Buchnesia Nürnberg). Sie ist in ihrem Tanzstil in den letzten Jahren sehr gereift, hat sich toll entwickelt und ist darüber hinaus eine absolute Topathletin. Nur im Jahr 2011, als sie noch bei den Junioren tanzte, konnte sie als Solo schon einmal auf dem Treppchen stehen. In der Altersklasse Ü15 gelang ihr dieser Erfolg zum ersten Mal. 

Tanzmariechen Liana Wolf schreibt sich in die Geschichtsbücher des karnevalistischen Tanzsports.

Schautänze

 

Am späten Nachmittag präsentierten sich als letzte Disziplin des Tages die Schautänze. Dort gab es ein Déjà-vu, denn das Treppchen sah ganz genauso aus, wie im Vorjahr. Erster wurde der Schautanz „Wer ist der Mensch und wer der Freak?“ von der KK Buchnesia Nürnberg mit 485 Punkten. Sie präsentierten ihre Freakshow voller Leidenschaft und Ausdrucksstärke. Bei dem Tanz mit fast 40 Tänzerinnen war ständig Bewegung auf der Bühne. Eine riesige Vielfalt und schöne, synchron getanzte Schrittkombinationen machten ihn zum besten Schautanz des Tages. Mit 482 Punkten erreichte der Tanz „Tief gefallen“ des KC Röttenbach den zweiten Platz. Mit diesem Tanz zog die Gruppe alle in ihren Bann. Aufwändige Requisiten und Kostüme werteten die ohnehin wundervolle Choreografie nochmals auf. „Wir hängen emotional total an dem Tanz“, sagte Trainerin Ivonne Gedigk Garde & Show und das konnte man auch sehen. „Wir hatten eine wahnsinnige Trainingsbeteiligung über das Jahr. Es waren fast immer alle da. Der Ehrgeiz bei meinen Tänzern war so groß wie noch nie. Es ist einfach ein riesiger Teamgeist da. Alle tanzen mit Herz und Leidenschaft.“ Mit ihrem neuen Schautanz „Mit Gefühl…“ schafften es die „Holzbiere“ aus Knielingen erneut auf den dritten Platz. Sie vertanzten die verschiedenen Gefühle Wut, Liebe, Angst, Kummer, Eifersucht und Freude. Durch die bunten Kostüme und die clever gemachten Formationen kam der Tanz erst richtig gut zur Geltung. Die Freude über die 474 Punkte war riesig, denn auch hinter dieser Gruppe lag eine holprige Saison. „Es war wirklich turbulent bei uns“, sagte Trainerin Beate Smoljanac Garde & Show. „Wir hatten viele Krankheiten und Verletzungen. Das hat uns vor allem im Gardetanz stetig einen Strich durch die Rechnung gemacht. Kein Turnier lief mit der geplanten Formation über die Bühne. Immer wieder musste umgestellt werden und das meist mehr als kurzfristig. Dankenswerterweise haben uns zwei Tänzerinnen, die sich nach der DM 2017 eigentlich verabschiedet hatten, ausgeholfen, und so den ein oder anderen Start gerettet. Dass es trotz der widrigen Bedingungen so gut für uns gelaufen ist, hätten wir nicht gedacht, zeugt aber von einer tollen Teamarbeit.“

Die Buchnesia ertanzt sich zum zweiten Mal in Folge den Titel bei den Schautänzen.

Nach gut zehn Stunden endete das Turnier mit der Siegerehrung. Mit ganz viel Konfetti, Tränen des Glücks und schönen Erinnerungen verabschiedeten sich die Meister bis ins nächste Jahr. Die meisten legen nur eine kurze Pause ein und beginnen dann wieder mit den neuen Tänzen, um auf die nächsten Deutschen Meisterschaften 2019 in Braunschweig hinzutrainieren.

Alle Teilnehmer der Deutschen Meisterschaft (Senioren) findet ihr auch in den Fotogalerien auf der Garde & Show Facebook-Seite. Einen ausführlichen Artikel zum erfolgreichsten Verein des Turniers, der KK Buchnesia Nürnberg, gibt es in der aktuellen Ausgabe Garde & Show #10